Mein Weg führte mich immer tiefer in den dunklen Wald hinein. Durch den dichten Kiefernwald drang kaum ein Lichtstrahl bis zum Boden. Die weichen Nadeln dämpften meine Schritte, sodass ich nahezu lautlos meinem Ziel immer näher kam.
Gerüchten zufolge befand sich in diesem Waldstück ein verlassenes Herrenhaus. Grund genug für mich selbst nachzusehen, ob an den Geschichten etwas wahres dran war. Die Leute nannten mich nur “die Jägerin”, dabei war das nur die halbe Wahrheit. Ich verdiente mir meinen Lebensunterhalt mit der Jagd nach Tieren und verlorenen Gegenständen. Die Tiere wurden oft Adligen zum Geschenk gemacht und dienten als Zeitvertreib. Die Gegenstände spürte ich bei meinen Streifzügen an vergessenen Orten auf und verkaufte sie später als “Verlorenen Schatz” an den meistbietenden.
So führte mich mein Weg auch diesmal wieder an einen Verlassenen Ort und ich erhoffte mir reiche Beute. Einfache Alltagsgegenstände wie Spiegel oder ein Kamm waren völlig ausreichend. Allein die Tatsache, dass er “in einem Geisterhaus” gefunden wurde, ließ den Preis in die Höhe schnellen.
Aus den Schatten schälte sich beim Näherkommen ein großer schwarzer Umriss. Die Dorfbewohner hatten mich nicht belogen. Da war das Herrenhaus.
Fenster und Türen schienen verschlossen, aber an der Tür des Dienstboteneingangs hatte die Zeit ihre Spuren hinterlassen. Das Holz war schwarz und Modrig, die Farbe abgeblättert. Es war mir ein leichtes die Tür einzutreten und mit Zugang zum Haus zu verschaffen.
Ein schmaler Gang führte mich an Vorratskammer und Küche vorbei und endete im Eingangsbereich des Hauses. Normalerweise führte mich mein Weg in die oberen Stockwerke. Ich würde Schränke durchstöbern und alles brauchbare entweder gleich mitnehmen, oder verstecken, um es zu einem späteren Zeitpunkt holen zu kommen. Doch an diesem Haus war etwas anders. Vielleicht war es ein unterschwelliger Geruch, der mich auf der Treppe nach oben innehalten ließ. Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf den Keller des Hauses. Meinem Gefühl vertrauend machte ich kehrt und suchte die Tür, die mich nach unter bringen würde.
Sobald ich in dem dunklen Abgang stand und die Tür sorgfältig hinter mir verschlossen hatte, konnte ich es wagen meine Laterne anzuzünden. Es war wichtig, dass kein Lichtschein meine Anwesenheit hier verriet. Man musste immer mit Konkurrenz rechnen, die plötzlich mit gezückter Klinge aus den Schatten sprang und einem die Beute abnehmen wollte.
Unten öffnete sich der Raum in einen Gewölbekeller, der Vollgestellt war mit Schränken, Tischen und Arbeitsgerät. Es erinnerte an eine Art Labor. Viele der Glaskolben waren inzwischen zerbrochen. Es sah aus, als hätte sich ein Tier hierher verirrt und auf der Suche nach einem Ausgang allerlei zu Boden geworfen.
Ein wispern drang an mein Ohr. Alarmiert lauschte ich in die Dunkelheit und sah mich um, konnte aber keine Bewegung ausmachen. Vorsichtig näherte ich mich dem Geräusch.
“Ist da jemand?”
“Schau, da kommt jemand.”
“Wer ist das?”
“Was will sie hier?”
“Psst, leise! Sie kann uns hören!”
Angestrengt starrte ich in die Dunkelheit, doch ich vermag niemanden zu sehen.
Neben mir im Regal erkannte ich ein paar Kerzen. Ich nahm eine der beiden und wollte sie gerade an meiner Laterne anzünden, als sie plötzlich anfing sich zu winden und Zeter und Mordio zu schreien: “NEEEEEIIIIINNNNN, SIE WILL MICH AAAANNNZÜÜÜNNNNDEEENN! ICH WILL NICHT!!!!!!
Andere hätten nun wohl vor Schreck alles fallen lassen und wären weg gerannt, doch ich sah nur erstaunt auf die sich in meiner Hand windende Kerze.
Dort, wo sie eben noch im Regal gestanden hatte, stand eine weitere Kerze. Sie sagte nichts, doch ich meinte im Wachs ein ängstlich dreinblickendes Gesicht zu erkennen.
“Was bist du?”, fragte ich die Kerze.
Keine Reaktion. Ich hielt meine Laterne etwas näher sie heran und fragte noch einmal.
“Wer seid ihr?”
Sie seufzte und drehte sich ins Licht. “Das Haus gehörte einem grausamen alten Alchimisten. Er hat uns erschaffen. Wir sind Kerzen, aber wir wollen nicht brennen. Denn wir wissen, wenn wir ganz herunter gebrannt sind, dann gibt es uns nicht mehr. Wir haben ihn immer wieder angefleht uns nicht anzuzünden, doch er meinte nur, er brauche das Licht und hat unser Flehen ignoriert. “
“Welchen Sinn hätte es Kerzen zu gießen, die nicht brennen wollen?”
“Er wurde langsam alt und vergesslich. Er versprach uns mit neuem Wachs zu versorgen, wenn wir ihm bei seinen Versuchen helfen. Wir sollten uns alles merken, was er tat und ihm bei Bedarf berichten. ‘Wenn ich euch nicht anzünde, seht ihr nicht was ich tue und dann seid ihr nutzlos’, sagte er immer wenn wir uns weigern wollten zu brennen. Nun sind wir schon fast ganz herunter gebrannt und der Herr ist fortgegangen.”, beendete die Kerze ihren Bericht und machte ein wehleidiges Gesicht.
“Wie viele von euch gibt es?”, fragte ich beiläufig und sah mich um.
“Nur wir beide sind übrig.”
Ich schnappte mir die zweite Kerze und steckte sie in meine Tasche. Dumpfe Schreie drangen durch den Stoff. Musik in meinen Ohren. Die würden mir eine Menge Geld einbringen.
Gut gelaunt setzte ich meinen Streifzug durch den Keller fort. Ich war gespannt ob mich hier noch weitere Kuriositäten erwarteten.
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